Günther´s Traum vom Transalpine Run (TAR) vom 07. bis13.09.2024
In 7 Tagen über die Alpen von Garmisch bis zum Reschensee
– – – Text und Fotos von Günther Weitzer – – –
Fr., 06.09. Anreise von Schwindegg nach Garmisch
Pünktlich um 12 Uhr fährt der Zug in Schwindegg ab – der Start ins große Laufabenteuer beginnt. Auch der Anschlusszug in München hat keine Verspätung. Bereits kurz nach dem Einsteigen komme ich mit zwei Läufern aus Hamburg ins Gespräch, die den TAR im Team meistern wollen. Nach der Ankunft am Bahnhof in Garmisch-Partenkirchen fahre ich zunächst mit meinem schweren Gepäck per Taxi zum Hotel, das ich (wie auch alle anderen Hotels) über die HOST Agentur gebucht habe. Danach geht es gleich mit dem Shuttlebus zum Eventgelände.
Dort treffe ich Egon Theiner (den Chefredakteur unserer DUV Zeitschrift ULTRAMARATHON), der auch als Solist mit dabei ist ,und hole ich meine Startunterlagen und die große TAR-Tasche ab, in die ich dann alles noch umpacken muss. Habe schon Bedenken, ob ich da alles unterbringe. Bestimmt habe ich wieder mal zu viel mitgenommen. Das TAR-Dinner (Spaghetti) nehme ich natürlich gerne mit, danach gibt es noch die Eröffnungsfeier mit dem Streckenbriefing. Gleich für die erste Etappe gibt es eine Änderung:
Die schwierige und lange Passage über den „Hohen Gang“ wird durch den Weg über den leichteren Immensteig ersetzt, dadurch verlängert sich die Strecke um ca. einen Kilometer. Helmpflicht besteht jedoch weiterhin auf zwei Passagen. Damit steht einem erfolgreichen Start bei traumhaftem Spätsommerwetter nichts mehr im Wege. Nach der Rückkunft im Hotel gehts es ans große Umpacken. Irgendwie schaffe ich es, alles in der TAR-Tasche unterzubringen. Die Laufsachen werden natürlich auch schon alle vorbereitet, der Wecker auf 04:30 Uhr (eine für mich unchristliche Zeit) gestellt.
Das Abenteuer kann beginnen Abholen der Startunterlagen
Gerüstet für den Start Offizielle Eröffnung in Garmisch
Sa., 07.09. Erste Etappe von Garmisch nach Nassereith (44,5 Kilometer mit 2590 Höhenmetern)
Jetzt ist der Tag „X“ tatsächlich gekommen! Den Wecker höre ich zum Glück, zum Frühstück bringe ich mit Müh und Not zwei trockene Semmeln und eine Banane hinunter, seitens des Hotels gibt es leider nur ein Lunchpaket. Dafür befindet sich ein Wasserkocher auf dem Zimmer, mit dem ich mir Tee zubereiten kann.
Die große TAR-Tasche müssen wir heute ausnahmsweise selbst zum Start bringen, von wo aus diese dann zum gebuchten Hotel transportiert wird. An den Folgetagen übernimmt das dann die Rennorganisation. Hierfür muss das Gepäck jeweils eineinhalb Stunden vor Laufbeginn an der Rezeption abgegeben werden. Ich habe über HOST ein Übernachtungspaket mit Einzelzimmer gebucht, ein aus meiner Sicht unverzichtbarer Service für dieses Unterfangen.
Der Bus zum Start fährt um 6 Uhr ab, das flaue Gefühl in meinem Magen hält sich zum Glück in Grenzen. Den obligatorischen Sicherheits-Check absolviere ich problemlos, gleich auf der ersten Etappe muss der Helm mitgenommen werden. Im Startbereich treffe ich auf Egon. Das Wetter ist der absolute Traum – wolkenloser Himmel mit spätsommerlichen Temperaturen. Leider soll es nicht so bleiben und für Montag ist ein Wettersturz vorhergesagt, aber das wird heute erst mal ausgeblendet.
Pünktlich um 7 Uhr setzen sich an die 900 Starter in Bewegung, an den ersten beiden Tagen sind neben den 214 Solo-Startern und 172 Zweier-Teams auch noch 150 TAR2-Teams am Start, die nur die ersten beiden Etappen absolvieren. Die ersten 6 Kilometer sind flach und lassen sich ganz gut laufen. Vor dem Anstieg in einen schmalen Bergpfad ergibt sich dann leider ein größerer Stau, der mich mindestens 10 Minuten Zeit kostet. Aber das spart am Anfang auch Kräfte für die weitere Etappe. Nach 11 Kilometer kommt der erste VP, ich liege gut im Rennen, esse und trinke ausreichend und werde dadurch auch das leicht flaue Gefühl im Magen los. Jetzt macht der Lauf richtig Spaß und ich komme gut ins Rollen. Bei VP2 nach Kilometer 19 habe ich schon eineinhalb Stunden Luft auf die Cut Off Zeit, die heute sicher keine Rolle mehr für mich spielt.
Jetzt wird es ernst Stau beim Einstieg in den Berg
Mitten drin im Laufvolk Kurz vor VP1
Nach dem Eibsee beginnt der schwierige Teil der Etappe, es geht über den Immensteig, hier besteht Helmpflicht. In dieser Passage geht es natürlich auch wieder langsam voran, zusätzlich geht einiges an Zeit durch die Umpackerei verloren. Nach dem Steig läuft es weiter in Richtung Seebensee, wo sich auch der nächste VP befindet. Ein faszinierendes Panorama! Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es nun steil hinauf in Richtung Coburger Hütte (VP3) mit dem Drachensee und weiter hoch zur Grünsteinscharte, dem höchsten Punkt der Strecke. Hier geht es nur langsam voran, am Ende windet sich der Weg in schon von weitem sichtbaren Serpentinen hinauf zur Scharte, wo uns der Streckenchef Martin Hafenmair mit einer großen Glocke anfeuert.
Helmpflicht am Immensteig Steiles Kraxeln im Immensteig
Panorama am Seebensee vorm VP2 Steile Serpentinen zur Grünsteinscharte Rückblick zum Drachensee unten
Anschließend geht es auf losem Schotter auf der anderen Seite in den Downhill, auf den ich mich schon die ganze Zeit freue, der aber auf den ersten Kilometern nicht einfach zu laufen ist. Danach komme ich gut ins Rollen und kann einige Positionen gutmachen. Beinahe hätte ich dabei einen Teil meines Gepäcks aus dem Rucksack verloren, das wäre fatal gewesen.
VP4 erreiche ich nach genau achteinhalb Stunden, jetzt ist es nicht mehr weit. Gut einen Kilometer vor dem Ziel laufe ich auf Egon auf und nach gut neuneinhalb Stunden glücklich über die Ziellinie in Nassereith. Etappe 1 ist geschafft! Nach meiner Uhr hatte diese gut 46 Kilometer und auch über 2800 Höhenmeter und war damit länger und mit mehr Höhenmetern versehen als offiziell angegeben. Das sollte sich auch auf den Folgeetappen so fortsetzen.
Um 17 Uhr bringt uns der Bus ins Hotel Montana nach Arzl. Schnell unter die Dusche und Umziehen, bevor es um 18 Uhr zurück nach Nassereith zur Dinner-Party mit Streckenbriefing für den nächsten Tag geht. Der Start für morgen wird wegen des anstehenden Wetterumschwungs um eine Stunde auf 7 Uhr vorverlegt. Es wird morgen schon noch halbwegs halten, die nächsten Tage werden dann wohl eher unangenehm. Auf jeden Fall bin ich mit der ersten Etappe und dem gelungenen Start ins große TAR-Abenteuer sehr zufrieden.
Höchster Punkt der Strecke Jetzt fast nur noch bergab
So., 08.09. Zweite Etappe von Nassereith nach Imst (31 Kilometer mit 1770 Höhenmetern)
Leider kann ich in der Nacht nur schlecht einschlafen und habe auch mit leichten Magenschmerzen zu kämpfen. Zum Frühstück bringe ich wieder nicht viel hinunter. Am Start fühle ich mich dann eigentlich ganz gut, leider macht der Magen schon nach wenigen Kilometern Probleme, was mich immer wieder ausbremst, einen großen Teil des Rennens verfolgt und mir schon ein wenig den Spaß an der Sache nimmt. Die Engstelle ist heute bereits zwei Kilometer nach dem Start und kostet wieder wertvolle 10 Minuten Wartezeit.
Bis zum VP1 nach 12 Kilometern sind bereits 1100 Hm zu bewältigen, ich bin froh als ich endlich da bin. Ich versuche, das flaue Gefühl in der Magengegend durch Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung loszuwerden. Die VPs sind insgesamt sehr gut bestückt, das weckt wieder ein wenig die Lebensgeister. VP1 kostet mich wertvolle 15 Minuten. Anders hätte das für mich allerdings überhaupt keinen Sinn gemacht, und ich liege nach Verlassen des VPs immer noch ca. 40 Minuten vor dem Cut Off und damit gut in der Zeit.
Egon Theiner vorm Start Ich selbst vorm Start
VP1 ist erreicht Fans an der Strecke
Ein paar Kilometer läuft es jetzt wieder besser, bevor sich das flaue Gefühl im Magen zurückmeldet. Inzwischen ist es zugezogen. Bis zum höchsten Punkt zieht es sich, bis dahin sind noch ca. 700 Höhenmeter zu bewältigen. Der Abstieg vom Haiminger Kreuz ist auch technisch sehr anspruchsvoll, da lässt sich nicht viel Zeit gut machen. Ich sehne VP2 herbei, den ich kurz vor Kilometer 24 nach gut 6 Stunden erreiche. Auch dort verbringe ich 15 Minuten, um mich wieder halbwegs zu stabilisieren. Inzwischen hat es leicht begonnen zu regnen, mit dem schönen Wetter ist es nun endgültig vorbei.
Jetzt geht es noch 700 Hm auf 8 Kilometern bergab, anfangs ist der steile Trail schwierig zu belaufen. Zum Glück komme ich wenigstens jetzt nochmal ganz gut ins Rennen und mache auf den letzten 6 Kilometern viel Zeit und etliche Plätze gut. Nach 7:17:30 überquere ich schließlich die Ziellinie in Imst, knapp eine Stunde vor dem Cut Off, der aber inzwischen wegen des Regens aufgehoben wurde. In Anbetracht der Umstände bin ich damit zufrieden und zumindest TAR2 habe ich damit erfolgreich absolviert.
Jetzt sind wir alle gespannt, was heute Abend beim Briefing verkündet wird und ob die Königsetappe nach See wie geplant gelaufen werden kann. Letztendlich wird die Etappe nur um 4 Kilometer verkürzt, das wird sicher hart.
Langsam zieht es sich zu Auf schmalen Pfaden zum Gipfel Am höchsten Punkt der Strecke
Mo., 09.09. Dritte Etappe von Imst nach See („Königsetappe“ mit 46 Kilometern und 2.850 Höhenmetern)
Der Start ist heute schon um 6 Uhr, da heißt es noch eine Stunde früher aufstehen als sonst. Der Wecker klingelt daher schon um halb 4, für mich eine echte Herausforderung. Wetterbedingt nehme ich heute meine Kamera nicht mit. Zum Start regnet es nur leicht, das sollte sich aber bald ändern. So laufe ich zunächst mit meiner leichten Regenjacke los und packe die wasserdichte Jacke und die Regenhose in den Rucksack, beides sollte ich später noch dringend benötigen. Viele laufen mit der Stirnlampe los (ist aber keine Pflicht), eine lange Lichterkette zieht sich durch das Tal. Die ersten 4 Kilometer sind noch flach, beim Einstieg in den schmalen Trail gibt es den obligatorischen Stau. Leider habe ich schon wieder von Anfang an Probleme mit dem Magen, das ist ein echtes Handicap und drückt auf die Stimmung.
Ich befinde mich mit Egon ziemlich am Ende des Feldes, den ersten Cut Off bei VP1 erreiche ich gerade noch so. Nach einem ausgiebigen Aufenthalt am VP geht es weiter, ich möchte die Etappe noch nicht abschreiben, auch wenn ich ganz am Ende des Feldes bin. Ich schaffe es auch zu ein paar Läufern vor mir aufzulaufen und diese zu überholen. Überall im Wald gibt es Pfifferlinge in Mengen, direkt neben dem Weg – die Tage sind aber leider nicht die Zeit zum Pilze suchen.
Der Regen wird immer schlimmer und die Pfade verwandeln sich in schlammige und rutschige Trails, die schwierig zu belaufen sind. An einer Hütte wechsle ich (wie ein paar andere Mitläufer auch) endlich zu meiner wasserdichten Regenjacke und der Regenhose. Diesen Schritt hätte ich schon viel früher machen sollen, ich bin völlig durchnässt und friere auch schon leicht. Mütze und Handschuhe sind schon länger im Einsatz. Beim noch folgenden technischen anspruchsvollen Teil über felsiges und nasses Gelände komme ich ganz gut voran und kann einige LäuferInnen überholen. Trotzdem wird es eng mit dem Cut Off an VP2, den ich dann wenige Minuten zu spät erreiche. Aufgrund der schwierigen Wetterbedingungen wurde die Zeit aber um 30 Minuten verlängert und ich kann weiterlaufen. Bei der Gesamtlaufzeit bleibt es aber bei dem Limit von 11:45 Stunden, das heißt, ich muss mich ranhalten.
Jetzt geht es in den Downhill, auf den ich schon gewartet hatte. Leider nur kurz auf der Forststraße, dann über Wurzeln und Steine quer durch den Wald. Dabei kann ich mit meinem linken Stock einen Sturz gerade noch so weitgehend abmildern, aber der Stock geht zu Bruch. Damit muss ich auf der zweiten Hälfte mit nur einem Stock auskommen, schon ein ziemliches Handicap. Die Entfernung zum VP3 ist wieder mal deutlich länger als offiziell angegeben, und so komme ich nur mit wenig Zeitpuffer zu VP3. Ich stärke mich nochmal ausgiebig, hier gibt es sogar Kartoffeln.
Dann mache ich michzur nächsten, nochmals sehr anstrengenden Passage auf. Es geht steil nach oben, insgesamt sind nochmals rund 800 Hm zu bewältigen. Zum Glück geht es mir jetzt gut und ich komme ganz gut voran, aber das Schild, das VP4 ankündigt, will einfach nicht kommen. Ich schließe noch zu einem Team auf und wir motivieren uns gegenseitig. Leider ist es auch zu VP4 wieder weiter als angegeben und so kommen wir 6 Minuten nach dem Cut Off an, dürfen aber zum Glück weiterlaufen. Das Zeitlimit im Ziel wird aber nicht angehoben.
Jetzt folgen nur noch 6 Kilometer Downhill und dafür stehen 75 Minuten zur Verfügung, da kann nichts mehr schiefgehen. Ich lasse es nochmal richtig laufen und erreiche das Ziel nach 11:21 Stunden und damit 24 Minuten vor dem Cut Off. Inzwischen regnet es wieder in Strömen. Im Ziel herrscht schon helle Aufregung, weil mein Transponder anscheinend nach dem Start keine Zeit mehr ausgelöst hatte und daher niemand wusste, ob mir nicht etwas passiert ist. Auch Christine und Rainer waren schon besorgt und kommunizierten miteinander. Aber letztendlich hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst und die dritte Etappe war geschafft. Aber das war ein schwerer Kampf heute, der Akku ist leer und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich morgen nochmal am Start stehen soll.
Die Etappe war nach meiner Uhr auch 49 Kilometer lang und hatte fast 3100 Höhenmeter, deutlich mehr, als offiziell angegeben. Abends gönne ich mir im Hotel Olympia in Ischgl (wirklich sehr empfehlenswert) noch ein gutes Essen (Nudeln mit frischen Pfifferlingen), bevor ich um 22 Uhr todmüde ins Bett falle, ohne dass schon alles fertig für morgen gepackt ist. Die Tasche muss ich ja zum Glück noch nicht packen. Leider erfüllt sich meine Hoffnung nicht, dass die Strecke für morgen aufgrund der schlechten Wettervorhersage verkürzt wird. Es bleibt bei 41 Kilometern mit 2600 Höhenmetern.
Di., 10.09. Vierte Etappe von See nach Ischgl (41 Kilometer mit 2.600 Höhenmetern)
Eigentlich hätte ich gar nicht mehr erwartet, dass ich heute doch nochmal am Start stehe, aber nach sechs Stunden Schlaf sieht die Welt schon wieder ein wenig besser aus. Trotzdem ist der Akku fast komplett leer und es regnet in Strömen. Von dem tollen Frühstücksbuffet kann ich wieder nur wenig nutzen. Bis zum Bus, der uns zum Start nach See bringt, müssen wir auch noch einen knappen Kilometer durch den Regen marschieren. Diesmal ziehe ich gleich von Anfang an meine Regenmontur an. Im Zelt warten wir auf den Start um 7 Uhr, schon nach einem Kilometer gibt es wieder einen Stau, der sich aber relativ schnell auflöst. Danach geht es stetig bergauf. Die Prognose, dass der Regen ab 8 Uhr aufhören soll, bestätigt sich leider nicht. Bis Mittag schüttet es wie aus Kübeln und auf den Gipfeln wird es schon langsam weiß.
Die ersten 5 Kilometer bin ich noch ganz gut unterwegs, aber dann kommt der flaue Magen wieder zurück und es ist keine Energie mehr im Akku. Bei Kilometer 9 muss ich eine Zwangspause einlegen, mir ist einfach nur noch schlecht. Inzwischen bin ich am Ende des Feldes und die Schlussläufer wollen mich schon aus dem Rennen nehmen. So weit ist es aber noch nicht, ich esse einen Riegel und raffe mich nochmal auf. Bis zum VP1 sind es ja nur noch zwei Kilometer. Bis dahin möchte ich es auf jeden Fall schaffen und hoffe, nach einer entsprechenden Stärkung wieder halbwegs ins Rennen zu kommen.
Kurzfristig fühle ich mich nochmal besser und erreiche VP1 nur knapp 4 Minuten nach dem Cut Off, das ist aber kein Problem. Ich kann weitermachen und möchte es nach einer ergiebigen Stärkung am VP natürlich weiter versuchen. Die anderen LäuferInnen, die bei mir noch am VP sind, steigen alle aus. So setze ich das Rennen als Letzter fort. Zunächst geht es zwei Kilometer bergab, danach in den nächsten langen Anstieg. Die schmalen Trails mit Schlamm, Steinen und Wurzeln sind sehr schwierig zu belaufen und kosten viel Zeit und Kraft. Das flaue Gefühl im Magen bekomme ich leider auch nicht weg, und es sind noch immer rund 1000 Höhenmeter zu bewältigen, wobei der technisch anspruchsvollste Teil erst noch kommt.
Verregnet und nebelverhangen Düsterer Blick nach unten FINITO – ich kehre um !
Eigentlich bin ich der Meinung, noch genügend Zeit bis zum nächsten VP zu haben (3 Stunden für 8 Kilometer), aber die Schlussläufer überzeugen mich bei Kilometer 17 und gut 1.600 Höhenmetern davon, besser umzudrehen und dann mit dem Bus zurück zu fahren. Weiter oben gäbe es keine Option mehr. Ich lasse mich davon überzeugen und akzeptiere schweren Herzens, dass ein Weiterlaufen in meinem Zustand und bei den miserablen Wetterverhältnissen ein unverantwortliches Risiko wäre. Damit ist der Traum von einem erfolgreichen TAR Finish leider geplatzt, aber es ist die einzig richtige Entscheidung.
Jetzt kann ich mir noch überlegen, ob ich die restlichen Etappen mitlaufen möchte – grundsätzlich möchte ich auf jeden Fall bis zum Ende dabei bleiben, muss die Akkus aber erst mal ein wenig auffüllen. Der Bus von Plan B bringt eine Mitläuferin (die leider bei ihrer zehnten Teilnahme vorzeitig aussteigen musste) und mich gut zurück nach Ischgl ins Hotel. Dort finde ich schon eine Menge Nachrichten mit Glückwünschen und aufmunternden Worten vor.
Nach einer ausgiebigen Dusche stärke ich mich im Hotel und überlege, wie ich nun am besten morgen weitermache. Uta empfiehlt mir, doch den morgigen Tag zur Regeneration zu nutzen und dann die beiden letzten Etappen wieder mitzulaufen. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Optimal ist auch, dass ich mit der Silvretta Seilbahn bis nach Samnaun in den nächsten Zielort fahren kann. Abends gönne ich mir ein fantastisches Abendessen im Hotel und versuche dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen. Nüchtern betrachtet habe ich alles richtig entschieden, aber emotional ist das erst mal schwer zu verarbeiten.
Mi.,11.09. Fünfte Etappe von Ischgl nach Samnaun (30 Kilometer mit 2100 Höhenmetern)
Das Wetter hat sich überraschend zum Besseren gewendet. Als ich kurz vor 8 Uhr aufwache, herrscht strahlend blauer Himmel. Und ich fühle mich schon wieder etwas besser. Die heutige Etappe wurde auf 30 Kilometer verkürzt, auf so eine Regelung hatte ich für gestern gehofft. Wirklich schade, dass ich da heute nicht mitlaufen kann. Ein Tag Regeneration ist aber sicher die richtige Entscheidung, damit ich eine reale Option für morgen und übermorgen habe. Dafür kann ich auch das hervorragende Frühstücksbuffet im Hotel nutzen. Das Hotel würde sich gut für einen kleinen Wellnessurlaub mit Christine anbieten, aber das Klientel in Ischgl ist sicher nicht ihr Ding …
Nach dem Auschecken spaziere ich zur Silvretta Seilbahn, mit der ich bequem von Ischgl nach Samnaun fahren kann. Und das mit der Premiumcard für nur 6 €. Die Fahrt dauert mit kleinen Zwischenaufenthalten fast zwei Stunden und ich kann entspannt das tolle Bergpanorama genießen. Gegen 13:30 Uhr komme ich dann mit etwas gemischten Gefühlen im TAR Zielbereich an. Zum Glück ist mein nicht abgeholter Kleiderbeutel von gestern noch da. Von dort aus geht es weiter zu meinem Hotel, auch heute hat wieder alles mit dem Taschentransport geklappt.
Mein Domizil in Ischgl Per Seilbahn von Ischgl nach Samnaun
Jetzt geht es in die Schweiz Traumhafter Fernblick Wandern statt Laufen heute
Blick nach Samnaun aus der Seilbahn Überall herrliche Lärchenwälder Ziel der 5. Etappe – leider ohne mich
Das TAR Dinner findet diesmal auf der Bergstation der Seilbahn statt. Alle sind gespannt auf das Briefing. Aufgrund der schlechten Wettervorhersage mit Schnee in den höheren Lagen muss die Streckenführung sicher geändert werden. Unser Streckenchef Martin ist da nicht zu beneiden. Aber er ist mit Leib und Seele dabei und versucht immer eine bestmögliche Lösung zu finden.
Morgen werden nun 35 Kilometer mit knapp 2000 Höhenmetern gelaufen, zum Start im Ort Martina werden wir ab 7 Uhr mit Bussen gefahren. Morgen soll es sehr kalt mit Regen und evtl. auch Schnee am höchsten Punkt bei 2000 Meter werden. Das Zeitlimit beträgt nur 7:15 Stunden, aber die Strecke ist ja auch technisch deutlich einfacher, und an den letzten beiden Tagen wird das mit dem Cut Off sowieso lockerer gesehen. Zum Glück kann ich heute etwas länger schlafen und morgen möchte ich bei der sechsten Etappe auf jeden Fall wieder mit am Start stehen.
Do., 12.09. Sechste Etappe von Martina nach Nauders (35 Kilometer mit 1960 Höhenmetern)
In der Nacht schlafe ich nicht besonders und schwitze auch. Als erstes bringe ich kurz vor 6 Uhr meine Tasche nach unten, danach geht es zum Frühstück. Ich bringe zwar zwei Semmeln runter, aber kurz bevor ich das Hotel gegen 6:30 Uhr verlasse, ist mir wieder richtig schlecht. Zum Glück legt sich das Ganze auf dem Weg zum Bus. Wir fahren fast 45 Minuten bis nach Martina, dem neuen Startort. Der Ausrüstungscheck erfolgt diesmal gleich im Bus, ist aber wie an den anderen Tagen auch problemlos.
Diesmal geht es gleich nach dem Start auf einem geteerten Weg bergauf, aber zum Glück mit moderater Steigung. Trotzdem sind auf 9,5 Kilometern bis zur VP1 rund 1000 Höhenmeter zu bewältigen, immerhin eine durchschnittliche Steigung von 10%. Heute geht es mir überraschend gut und den Cut Off bei VP1 schaffe ich locker. Die Berge rundherum sind schon alle weiß gezuckert, aber wir kommen mit unserer Strecke nicht direkt mit dem Schnee in Berührung. Zunächst sind noch 300 Höhenmeter zu bewältigen, bevor es endlich in den von mir geliebten Downhill übergeht. Der lässt sich diesmal auf überwiegend breiten Forstwegen gut laufen und kurz vor VP2 bei Kilometer 21,5 kann ich sogar Egon überholen. Am VP2 zieht er aber aufgrund der kürzeren Verweildauer wieder an mir vorbei und im Uphill ist er ja sowieso schneller.
Das Profil der heutigen Etappe ist wesentlich einfacher zu laufen als an den vorherigen Tagen, so etwas hätte ich auf der vierten Etappe gebraucht … Auch nach VP2 geht es ganz gut weiter, die Übelkeit hält sich zum Glück in Grenzen. Aber es sind nochmal 1000 Höhenmeter zu absolvieren, das zieht sich. Das Wetter ist insgesamt deutlich besser als erwartet, kein Niederschlag. Da hätte ich meine Regenkleidung gar nicht zwingend gebraucht. Schade, dass ich meine Kamera nicht mitgenommen habe. Zwei kurze Fotostopps lege ich ein und hole dafür mein Handy aus dem Rucksack. Der erste Blick auf unser Ziel für morgen, den Reschensee, ist einfach fantastisch. Nach 6:42 Stunden erreiche ich glücklich das Ziel in Nauders und lasse dabei einige LäuferInnen hinter mir. Auch Egon ist nur 15 Minuten vor mir eingelaufen. Meine Stimmungslage hat sich dadurch wieder deutlich gebessert und ich fühle mich wieder als Teil der TAR- Family!
Winterliche Idylle am See Blick aufs morgige Ziel
Das Hotel liegt zum Glück nur ein paar hundert Meter vom Ziel entfernt. Schnell unter die warme Dusche, um wieder auf Temperatur zu kommen. Inzwischen sind auch schon ein paar Glückwünsche eingetroffen, das baut zusätzlich auf. Auch Christine ist natürlich glücklich, dass ich es heute wieder geschafft habe und mein Stimmungstief überwunden habe. Abends geht es noch zum Essen in die Pizzeria, da unterhalte ich mich gut mit Sven aus der Nähe von Freiburg, der die letzten Etappen ohne seine Laufpartnerin absolvieren muss.Aufgrund des schlechten Wetters (morgen wird es noch deutlich kühler) wird auch die letzte Etappe deutlich entschärft. Es geht nur noch über 22 Kilometer mit 1200 Höhenmetern, das sollte problemlos im großzügigen Zeitlimit von 6 Stunden zu schaffen sein.
Fr., 13.09. Siebte Etappe von Nauders zum Reschensee (22 Kilometer mit 1200 Höhenmetern)
Zum Glück erfolgt der Start erst um 8 Uhr und die Taschen müssen erst um 06:30 Uhr an der Hotelrezeption sein. Der Start ist auch in 10 Minuten fußläufig gut zu erreichen. Meine Tasche bekomme ich nur mit größter Mühe zu, aber irgendwie schaffe ich es. Mit dem Frühstück klappt es heute deutlich besser und das flaue Gefühl im Magen hält sich in Grenzen. Über Nacht ist es sehr kalt geworden und es hat weit hinunter geschneit. Beim Start sortiere ich mich wieder weit hinten im Feld ein, es geht gleich wieder bergauf. Die Steigung ist aber erträglich und so kann ich mit zügigem Schritt knapp 5 Kilometer pro Stunde machen, das reicht locker für das großzügige Zeitlimit. Nach ein paar hundert Höhenmetern tauchen wir richtig in eine Winterlandschaft ein und das am 13. September !
Heute habe ich meine Kamera dabei und finde richtig Gefallen an der Etappe. Am VP1 werden Weihnachtslieder gespielt, nur der Glühwein fehlt … Diese verlasse ich als Letzter, aber das stört mich nicht. Nach und nach kann ich wieder einige Plätze gutmachen. Kritisch sind die meist leicht schrägen Holzstege, die glatt und vereist sind. Darauf hatte uns der Streckenchef schon hingewiesen. Auf dem Weg zum höchsten Punkt bei ca. 2000 Metern wird es immer winterlicher, der Streckenchef Martin begrüßt uns wieder persönlich mit seiner großen Kuhglocke – echt vorbildlich!
Start zur letzten Etappe Unser Streckenchef am höchsten Punkt Winter Wonderland bei -4 Grad
Mitten im Winter angekommen Pferde im Schnee Vereiste schräge Holzstege – Vorsicht !
Auch am VP2 klingt es wieder weihnachtlich, dort halte ich mich nicht mehr allzu lange auf. Ein kurzer Blick auf den vom Nebel eingehüllten Reschensee lässt sich auch erhaschen, jetzt sind es nur noch knapp 7 Kilometer bis ins Ziel und der Downhill beginnt. Darauf habe ich mich schon gefreut und das koste ich nochmal richtig aus. Nach und nach kann ich fast 50 Plätze gutmachen und „fliege“ mit gutem Tempo an den MitläuferInnen vorbei, die das Ganze teilweise sehr vorsichtig angehen. Das macht echt Spaß und meine Vorfreude auf den Zieleinlauf steigt kontinuierlich an. Zwischendurch gibt es noch ein paar kleinere Gegenanstiege, was etwas nervt. Nach 4:22 Stunden überquere ich glücklich das Ziel und bekomme eine Medaille umgehängt – immerhin. Für das begehrte Finisher T-Shirt reicht es leider nicht, das wird am Abend nur an diejenigen überreicht, die alle Etappen erfolgreich gemeistert haben.
Letzter VP des diesjährigen TAR Das Ziel am See kommt in Sicht Eisige Verhältnisse am Reschensee
Glücklich am Ziel in Reschen Günther mit Egon am Ende des TAR
Aber zumindest habe ich die letzten beiden Etappen nochmal erfolgreich absolviert und kann damit stolz auf 5 erfolgreiche Finish’s blicken. Mit der teilweise absolvierten vierten Etappe waren das immerhin knapp 200 Kilometer mit ca. 12.000 positiven Höhenmetern. Mit dem Bus geht es nach Reschen ins Hotel, im Zielbereich weht der Wind eisig und das Warten an der Bushaltestelle ist unangenehm. Das Hotel liegt zum Glück sehr nah am Vereinshaus, wohin die Abschussparty verlegt wurde.
Nach der ausgiebigen Dusche entspanne ich ein wenig im Hotel, gönne mir einen Kuchen im Café und mache einen kurzen Abstecher zum See. Die Wetterbedingungen sind alles andere als angenehm. Um kurz nach 18 Uhr geht es zum Abendessen ins Hotel „Zum Mohren“, dort sitze ich mit ein paar netten Thüringern am Tisch. Sie erzählen ganz begeistert von den 111 Kilometern rund um Sylt. Den Rennsteig Marathon sollte ich wohl auch noch irgendwann absolvieren.
Anschließend geht es zur TAR Abschlussparty weiter. Leider gibt es dort fast nur Stehplätze und alle Getränke müssen bezahlt werden. Am Anfang werden wieder die Tagessieger auf der Bühne geehrt, danach die Gesamtsieger. Dabei gibt es tatsächlich die Kategorie „Grand Senior Master Men“! Im Anschluss gibt es eindrucksvolle Videos von Tag 7 und von den Highlights der gesamten Woche. Zum Abschluss erhalten alle, die die kompletten 7 Etappen erfolgreich absolviert haben, ihr Finisher T-Shirt. Das ist natürlich ein schwieriger Moment für mich, da wäre ich natürlich liebend gerne mit dabei gewesen.
Hier gehts zur TAR Abschlussfeier Die 3 besten Solo Herren Die Gesamtsieger aller 3 AKs Teams/Solo
Sa., 14.09. Rückfahrt nach München/Schwindegg
Leider wache ich schon um dreiviertel Vier auf und kann nicht mehr einschlafen. So trage ich das Tagebuch nach. Frühstück gibt es um 6:30 Uhr, vorher packe ich noch meine Taschen. Jetzt kann ich ja auch meine alte Tasche wieder verwenden und das Ganze besser verteilen. Der Bus nach München soll um 8:20 Uhr abfahren und dann gegen 12:30 Uhr in München ankommen. Jetzt freu ich mich schon darauf, wieder zu Hause zu sein!
Gegen 8:30 Uhr fahren wir tatsächlich los. Am Reschensee ist es winterlich. Unterwegs regnet es sich zunehmend ein, insbesondere für Österreich sind große Regenmengen und Überflutungen vorhergesagt. Einige husten und schnupfen schon, hoffentlich erwischt es mich nicht auch noch. Unser Bus kommt pünktlich gegen 12:30 Uhr am Münchner Hauptbahnhof an. Jetzt noch zur S-Bahn Richtung Ostbahnhof, von wo aus es dann weiter nach Schwindegg geht. Um 14 Uhr nimmt mich Christine freudig am Bahnhof in Empfang. Alle sind froh, dass ich wieder gut von meiner großen Tour zurück bin.
Heimreise durch die Winterlandschaft Das war mein TAR Abenteuer 2024
Fazit:
Was für ein einzigartiges Erlebnis! Auch wenn ich leider nicht alle Etappen erfolgreich beenden konnte, so bin ich doch glücklich und stolz, als einer der ältesten Teilnehmer bei diesem herausfordernden Etappenrennen über die Alpen dabei gewesen und freudestrahlend in das Ziel am Reschensee eingelaufen zu sein. Ich habe wirklich alles gegeben und bin am vierten Tag an meine Grenzen gestoßen, nicht zuletzt auch wegen der Magenprobleme, die mich seit dem zweiten Tag verfolgt haben.
Das teilweise sehr herausfordernde Wetter und die technisch anspruchsvollen Passagen waren eine zusätzliche Herausforderung. Die wichtigste Ausrüstung waren meine wasserdichte Regenjacke und Regenhose. Klimatisch haben wir alles erlebt von strahlendem Sonnenschein bei spätsommerlichen Temperaturen am ersten Tag, über strömenden Regen an den Tagen drei und vier, bis hin zu Schneefall bei minus 4 Grad am letzten Tag.
Ganz besonders hervorzuheben ist die perfekte Organisation durch Plan B mit Uta und Heini Albrecht, wo die Sicherheit der LäuferInnen immer an vorderster Stelle steht. Unser Streckenchef Martin Hafenmair zeigte dabei, insbesondere an den letzten beiden Tagen, an dem die geplanten Strecken wegen des Wintereinbruchs in größerem Stil umgeplant werden mussten, warum er der richtige Mann für diesen Job ist. Chapeau! Auch das über HOST gebuchte Übernachtungspaket lief reibungslos.
Abschließend möchte ich mich bei Allen bedanken, die mitgefiebert, an mich geglaubt und immer wieder Mut zugesprochen haben und auch die richtigen Worte in schwierigen Situationen gefunden haben. Das hat mich sehr gefreut und mir immer wieder Kraft gegeben. Mit fünf erfolgreich absolvierten Etappen, knapp 200 Kilometern und ca. 12.000 absolvierten positiven Höhenmetern bin ich jetzt auf jeden Fall sehr zufrieden und nun stolzes Mitglied der TAR Family.
Noch ein paar letzte Worte zur Statistik: Von 172 gestarteten Teams haben 107 erfolgreich alle sieben Etappen gemeistert (Finisherquote: 62 %), 41 LäuferInnen aus den ausgeschiedenen Teams haben außer Konkurrenz alle sieben Etappen bewältigt. Bei den Sololäufern haben von 214 StarterInnen 158 erfolgreich alle Etappen gemeistert (Finisherquote: 74 %).