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Ein besonderes Ausscheidungsrennen bis zum letzten Mohikaner

#mirsansvs

Ein besonderes Ausscheidungsrennen bis zum letzten Mohikaner

  • Rainer Leyendecker berichtet:

 

Pfingst-Samstag, 04. Juni, um 11:47 Uhr ertönt zum 1. Mal die Glocke – 3 Mal. Alle verlassen das überdachte Basislager auf der ehemaligen Grube Göttelborn im Nordosten des Saarlandes und bummeln zum Start- und Zielbereich. Dann 2 Mal und zuletzt 1 Mal schlägt die Glocke. Die Spannung steigt und genau um 11:50 Uhr rattert die Glocke und laufen wir los. Glück auf! Denn auf geht´s in die 1. Runde zum Kennenlernen der Strecke. Der Chef des Hartfüßler Trail e.V., Hendrik Dörr, läuft voraus und weist uns den rechten Weg durch das Werksgelände in Richtung der größten und höchsten Bergehalde im Saarland. Vor uns liegen 6,25 km mit stattlichen 215 Höhenmetern. Also kein echtes Backyard Format mit 6,7056 km, da die Strecke wegen der vielen Höhenmeter um 450 m kürzer gewählt ist. Gibt es in Europa einen solchen Ausscheidungslauf mit mehr Höhenmetern? Zum Warmwerden erlaubt uns Hendrik und sein Team 10 Bonusminuten zum Finishen dieser 1. Runde, ab Punkt 13 Uhr folgen die weiteren Starts immer genau zur vollen Stunde mit Glockenschlägen.

              

Die große Schar von fast 140 Mohikaner*innen (gemeldet hatten 157 Personen) trabt zunächst den kleinen Anstieg hinauf in Richtung Aussichtspunkt auf die Halde sowie die Kraftwerke von Göttelborn, bevor ein langer und recht steiler Abstieg über den breiten Haldenweg hinunter zum Kohlbachweiher führt. Einige rasen hinab, andere joggen gemütlich bergab zum Tiefpunkt des Rundkurses – und so zieht sich das Feld schon weit auseinander. Zeit ist ja (noch) genug! Wir umrunden den als Biotop eingezäunten See auf einer flachen Passage, bevor wir in den Wald eintauchen und ein paar Trailpassagen erleben. Hier entsteht an einem kleinen, sehr steilen Aufschwung ein richtiger Stau, der sich bis zum Erreichen des Haldenfußes wieder auflöst. Auf breiten Wegen aus schwarzem Gesteinsschotter sind wir nun als Marschierer oder Wanderer, teils mit Stöcken ausgestattet, unterwegs. Zunächst geht es im Zickzackkurs steil empor, bevor wir den fast flachen asphaltierten Haldenrundweg erreichen und wieder ins Traben kommen.

An einer scharfen Kurve verlassen wir den Rundweg und folgt der nächste steile Aufschwung in Richtung Haldenplateau. Ein kurzes Stück ist es wieder flach, bevor wir erneut ins Gehen übergehen. Die Aussicht über die Saarkohlenwälder wird immer beeindruckender. Bald folgt der zweite Single Trail Abschnitt im Unterholz, auf dem wir laufend die halbe Halde umrunden. Schließlich kommen wir aus dem Wald heraus und erwartet uns der kurze, aber sehr steile Trail empor auf das weitläufige Plateau als Höhepunkt der Strecke. Jetzt wissen wir Bescheid: Im Laufe des Tages bzw. der Nacht sind also 6 Aufschwünge zu meistern, die wohl bei jeder Wiederholung anstrengender werden. Wir passieren einen kleinen Gipfelteich mit Schilfbestand und beginnen den steilen Abstieg bis hinunter zum offiziellen Haldenrundweg. Ab jetzt können wir es leicht bergab rollen lassen und haben nur noch vor Erreichen des größten Förderturms im Saarland ein paar Höhenmeter vor uns. Nach einer Kurve kommt das Ziel in den Blick und laufen wir zum 1. Mal über die Ziellinie. Wie viele Male werden noch folgen?

           

Einige sind schon nach unter 40 Minuten an ihrem Rastplatz, andere lassen sich fast eine Stunde Zeit, ich selbst brauche wegen der vielen Fotostopps fast 50 Minuten. Die Wetterprognosen der Vortage versprachen regnerisches Wetter mit Gewitterneigung, so dass Hendrik am Vortag extra noch eine Rundmail schrieb und auf die eventuell schwierigen Verhältnisse hinwies inklusive der Gefahr, das Rennen unterbrechen oder gar abbrechen zu müssen. So reisen wir mit warmen Sachen und Regenschutz im Gepäck an. All das brauchen wir aber an diesem Sonnentag mit Temperaturen bis zu 29 Grad nicht. Nur vereinzelt zeigen sich ein paar weiße Wölkchen am Himmel und die Tageshitze macht vielen von uns zu schaffen. Während oben um die Halde ein willkommenes Lüftchen weht, staut sich weiter unten und um den See die schwül-heiße Luft und wirbeln wir den Staub auf, der sich an unseren Beinen festsetzt. Auf jeden Fall beherzigen wir, am bestens ausgestatteten Verpflegungspunkt und aus unseren eigenen Vorräten viel zu trinken und jede Runde auch ein paar Häppchen zu essen. Nicht alle haben Sonnencreme in ihrer Ausrüstung, so dass sich im Laufe des Tages immer mehr Gesichter, Arme und Nacken rot und röter färben – wir fühlen uns am Abend als echte Rothäuter.

Die Hartfüßler lassen sich ja immer wieder etwas Besonderes einfallen und so ist es auch bei diesem 3. Halden Mohikaner nach der Premiere in 2019 und dem Event in 2021. Wir konnten uns mit gestaffelten Preisen anmelden für die volle Packung, also mehr als 100 km bzw. 16 Runden, für die halbe Packung mit bis zu 16 Runden oder für die kleine Packung mit bis zu 50 km. Wer für die Unterdistanzen meldete, durfte auch erst später ins Rennen einsteigen. Dies nehmen einige Akteure in Anspruch mit Starts erst nachmittags oder abends. Natürlich darf jeder so weit bzw. so lange laufen wie er will; und alle erhalten nach ihrer letzten Runde eine ansprechende Mohikaner Medaille und können im Web ihre Rundenzeit-Protokolle einsehen und ihre Urkunde ausdrucken. Wer weiter läuft als gebucht, hat „zur Strafe“ je 5 Euro pro Zusatzrunde zu zahlen, wer weniger schafft, bekommt aber nichts zurück! Letztlich nehmen ersteres nur Tobias (20 statt gemeldete 16 Runden) und ich in Kauf (gemeldet für 8 Runden mit dem Ziel, doch 9 Runden zu packen).

Auf geht´s in die 2. Runde, welche für einige Akteure auch schon die letzte sein wird. Die Strecke und das Wetter darf man als „einfach schwierig“ bezeichnen. Als ich über den blauen Teppich ins Ziel einlaufe, schaue ich dem mich fotografierenden Hendrik in die Kamera und übersehe so den Wulst mit der Messmatte unter dem Teppich und stürze über die Ziellinie. Das hätte auch für mich die letzte Runde sein können! In der 3. Runde bleibe ich auf dem Trail unterhalb des Gipfels mit der Schuhspitze an einem Stein hängen und lege mich erneut flach. Das soll mir eine Lehre sein und in den folgenden Stunden passe ich bei den wenigen Trailpassagen besonders gut auf. Hendrik ist sehr erfreut, dass ich als einziger Athlet das klassische Hartfüßler T-Shirt vom 1. Lauf des Vereins im Mai 2012, dem Hartfüßler Ultratrail durch den Saarkohlenwald und über mehrere hohe Halden, trage.

         

         

Nach der 4. Runde haben schon 39 Läufer*innen Feierabend. Jede weitere Stunde steigen einige Aktive aus, aber viele kämpfen sich bis zur 8. Runde durch, um die 50 km voll zu machen und einen Ultra zu haben. 28 Akteure lassen es nach 8 Runden gut sein und in die 9. Runde starten noch 28 Personen, darunter 4 Damen. Meine Runden spule ich mit rund 45 Minuten ab, so dass mir genügend Zeit zum Pausieren bleibt. Eigentlich will ich nach der 9. Runde aufgeben und mich zum DNF abmelden. Denn diese 56,25 km reichen mir zum Überlaufen der magischen 10.000 Ultra-Kilometer in meiner im Jahre 2009 begonnenen DUV Statistik. Nach 134 Ultras habe ich wieder mal ein persönliches Jubiläum geschafft! Jetzt hänge ich in der Dämmerung noch eine Ehrenrunde dran und voller Euphorie will ich mal sehen, wie schnell ich diese Runde in einer Art Zielspurt absolvieren kann: So überquere ich als erster der verbliebenen Läufer*innen die Zielmatte knapp unter 40 Minuten. Hendrik gratuliert und spendiert mir ein kühles Karlsberg Urpils, bevor ich mich umziehe.

       

Zum Start um 22 Uhr haben die meisten der 25 Verbliebenen schon ihre Stirnlampen eingeschaltet. Seit dem Sonnenuntergang hat es leicht abgekühlt und verspricht die Nacht ein angenehmeres Laufen und Gehen. Ich fahre zum Schlafen zu meinem 40 km entfernten Elternhaus und werde morgens gegen 5 Uhr durch den prasselnden Regen wach. Das wird kein Spaß für die Läufer*innen auf der Strecke, aber immerhin wird es wieder hell. Nun ist das Ausscheidungsrennen bereits 17 Stunden alt und schaue ich wieder in die Live-Ergebnisse: 8 Personen sind noch im Rennen, 6 machten zuvor nach genau 100 km = 16 Stunden Schluss. Als ich mittags als laufender Reporter zurück bin im Start-Ziel-Areal, sind noch ein paar Späteinsteiger am Laufen und die beiden Vorjahresbesten Michael Schiffer und Paul Moog. Paul wurde schon die Runden zuvor langsamer und winkt nach seiner 26. Runde im Ziel ab – das war es für ihn! So startet Michael in seine wohl nicht so früh erwartete letzte Haldenüberquerung und rennt diese Runde in rasanten 28 Minuten. 168,50 km stehen heuer beim letzten Mohikaner zu Buche, das sind je 3 Runden weniger für ihn und Paul als im Vorjahr. Mit diesen 27 Runden wurde Claudia Müller in 2021 hier Dritte gesamt. Auch für die Späteinsteiger ist nun das Rennen vorbei, und es geht ans Einpacken und Abbauen. Hendrik überreicht gegen 13:30 Uhr am Pfingstsonntag an Michael eine schöne Mohikaner-Häuptling-Statue. Schon zuvor im Dunkeln erhielt die letzte Mohikanerin, Sabine Eggers mit 17 Runden und 106,25 km, eine weibliche Statue als Trophäe.

   

Insgesamt können sich 41 Mohikaner und 15 Mohikanerinnen auf ihren Eintrag in die DUV Statistik freuen (2019 waren 47 und 2021 gar 62 Personen ab 50 km im Ziel). Ich selbst bin hier der letzte Mohikaner in der Altersfolge und einziger ab 60 Jahre, der die Ultradistanz packt. „Der letzte Mohikaner“ – das sagt doch einigen von uns etwas, zumindest als noch heute gebräuchliches geflügeltes Wort. Andere erinnern sich an den Titel eines Romans aus der Serie „Lederstrumpf“. Es war ein 1826 verfasster historischer Roman des US-Schriftstellers James Cooper, in dem es auch um den Untergang nordamerikanischer Indianerstämme durch die vordringenden europäischen Siedler geht. Wir denken lieber zurück an die laufenden Mohikaner.